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Thunersee

    German only! – 11. März 2018

    Nach wie vor sind all jene Trails, die ich derzeit zu durchwandern versuche, unter einer dicken Schneeschicht vergraben. Letzte Woche habe ich immer wieder die Webcams kontrolliert und die Schneeberichte verfolgt. Noch immer sind Skis das Mittel der Wahl, um rasch auf diesen Trails vorwärtszukommen. Es fehlt mir auf dem Jura-Höhenweg ein kurzes Stück von Le Pont über den Mont Tendre nach Nyon (63 km), auf dem Trans Swiss Trail muss ich noch über die Alpen. Der Jura-Höhenweg ist noch ein Wochenende lang, aber die Alpen sind frühestens Anfang Mai wieder ein Thema.

    Meine letzte Wanderung führte von Montreux nach Etoy und ich spielte mit dem Gedanken einfach von Etoy aus am Genfersee entlang weiterzuwandern. Ich entschied mich dagegen, weil die Routenführung auf Schweizmobil durch Ortschaften oder immer wieder hinter der ersten Häuserreihe am Ufer entlangführt. Genau dort, wo meist auch die Seestrasse verläuft. Selbst zum Kilometerfressen kann ich mir angenehmeres vorstellen. In der Schweiz und im März muss man wirklich auf der Hut sein. Entweder die Route verläuft einer Autobahn entlang oder man erwischt über kurz oder lang zu viel Schnee. Im letzten Jahr bin ich mehrmals von Zürich aus in einem Tag nach Kreuzlingen gewandert, auch im Winter.

    Schliesslich entscheide ich mich, rund um den Thunersee zu wandern. Auf Schweizmobil plus markiere ich die Route. Auch dies ist mit Risiken verbunden, aber es hilft ungemein, um rasch voranzukommen. In der Schweiz gibt es ein unglaublich engmaschiges Netz an Wanderwegen. Selbst an Flüssen oder Seeufern entlang kann man sich schnell verlaufen und Stunden verlieren. Schweizmobil plus hat nur einen Fehler: Die Karte lässt sich nicht beliebig zoomen, auf unübersichtlichen Kreuzungen bieten diese Karten zu wenig Sicherheit.

    Wie üblich durchquere ich am frühen Sonntag morgen die Trashtrails rund um die McDonalds. Der Zug nach Thun fährt um fünf Uhr neunzehn. Da es wieder wärmer geworden ist, erleichtern sich jüngere Leute (Damen und Herren) in der Innenstadt in Hauseingängen. Die Stadtreinigung wird dies alles morgens um sechs Uhr wieder in die Ordnung bringen. Glücklicherweise ist die Party für die Vergnügungssuchenden im Zug nach Bern zu Ende, keine zehn Minuten nach der Abfahrt sind alle eingeschlafen.

    Die Wettervorhersage war verhalten optimistisch: Mit etwas Glück sollte sogar die Sonne scheinen. Da es bereits vor fünf Tagen am Genfersee warm genug war, trage ich kurze Hosen von Inov-8 und darüber die ultraleichten Racepants, ebenfalls von Inov-8. Kurz vor sieben Uhr morgens bin ich in Thun, jemand kickt einen Kaugummi in meine Richtung. Ein Versehen, der junge Mann entschuldigt sich sogar.

    Schloss Schadau

    Kurz darauf wandere ich dem Ufer entlang. Sogar in der Innenstadt stehen Häuser leer – in Zürich undenkbar. Ein Hotel wird gerade abgerissen. Der Weg ist sehr touristisch, morgens vor acht Uhr sind aber nur einzelne Jogger unterwegs. Ich verstaue meine Regenhosen noch vor acht Uhr im Rucksack. Ein alter Hund kommt sehr gemächlich auf mich zu. Humpelnd und hinkend, er wird nicht mehr an mir hochspringen können. Er hält nur kurz seine feuchte Nase gegen meinen Oberschenkel, wahrscheinlich hat er gerade vergessen, wer sein Herrchen ist. Als sein Herrchen mich zurück grüsst, dreht er sich ziemlich verwirrt wieder um.

    Die Ortschaften am Thunersee sind ein wilder Mix aus echten, unfassbar alten Chalets, Bauernhäusern und mehr oder weniger originellen Ferienhäusern. In Oberhofen verbrachte Polo Hofer seine letzten Jahre. Ein netter Ort, mit Schloss und zwei getrennten Badis, davor ein Winston Churchill Memorial. Churchill selbst war nie in Oberhofen aber immerhin sein Sohn Randolph und Alt Bundesrat Max Petitpierre.

    Niesen

    Das Schloss gehört heute einer Stiftung. Sie vermietet auch Teile des Schlosses, beispielsweise für Hochzeiten. Alle Leute grüssen freundlich, bevor ich den Ort verlasse komme ich am Heidenhus vorbei. Jahrhunderte alt, und zum Zweck des Rebbaus gebaut. Es heisst Heidenhus, weil es den Einwohnenden fremd vorkam.

    In der Schweiz riskiert man, rund um Seen auf asphaltierten Wegen unterwegs zu sein. Deshalb trage ich wie letztes Mal Schuhe von Hoka One One. Diese entsprechen der Max-Cushion Philosophie: Soviel Dämpfung wie möglich. Vor einigen Jahren gab es im Laufsport einen Trend hin zu möglichst wenig Schuh und ein paar Athleten fingen an, in Sandalen zu laufen. Es gibt heute noch erfolgreiche 100 Meilen Läufer die nur in Sandalen laufen. Der Gegentrend heisst nun Max Cushion.

    Hoka Schuhe sind gegenwärtig sehr im Trend. Eines ihrer populärsten Modelle heisst Speedgoat und wurde in Zusammenarbeit mit Karl Meltzer entwickelt. Die Speedgoats schwabbeln auf Asphalt und sie sind nicht sehr stabil gebaut. Ich trug meine Speedgoats ungefähr 400 Meilen lang, danach fiel die Sohle auseinander. Mein heutiges Model (Challenger ATR 4) drückt dafür an den oberen Rändern der Zunge. Zusammen mit dem zu schmalen Vanquish 3 wird dies das Schicksal der Marke Hoka One One in meinem Schuhsortiment besiegeln. Innerhalb eines Jahres hatte ich 6 Paar Hokas. Durch die dicke Sohle befürchte ich immer, zu viel Energie zu versenken.

    Neuerdings teste ich die Marke Inov-8. Bei deren Kleidern fiel mir die Qualität zu einem vergleichsweise tiefen Preis auf. Sie versuchen offenbar, durch Preis/Leistung zu punkten und weniger den Markt mit ihren Produkten zu fluten. In der Schweiz ist die Marke im Detailhandel nicht erhältlich.

    Der Weg verläuft nun ein wenig oberhalb der Dörfer, vorbei an Schaafweiden und Bauernhöfen. Immer wieder auch kleine Rebberge. Das Hotel Hirschen in Gunten steht seit 10 Jahren leer. Es ist riesig und gehört indischen Investoren, die es gerne verkaufen würden. Ab 16 Millionen ist man dabei. Verglichen mit dem Preis von Eigentumswohnungen am Zürichberg ist dies geschenkt. Allerdings steht das Gebäude unter Schutz und es werden noch einmal mindestens 10 Millionen an Reparaturen fällig. Offenbar will dies niemand stemmen.

    In Rallingen das nächste ehemalige Rebbauhaus, ein eigentliches Schloss, dass heute einem evangelischen Orden gehört – Gäste sind herzlich willkommen. Bald darauf ist der Wanderweg wegen Holzschlag gesperrt. Es ist Sonntag, niemand arbeitet und Motorsägen würde man von Weitem hören. In der Schweiz gibt es kein System, um Wanderweg-Schliessungen online zu verbreiten, Schweizmobil hat jeweils nur die Routen. Ich breche deshalb diese Verbote eigentlich immer. Es gibt hier keinen einfachen Umweg. Dafür befinde ich mich auf einem Pilgerweg, der zum Jakobsweg gehört. Wie üblich finde ich auf diesem Abschnitt keine Spur von Holzfällern oder frisch gefälltem Holz. Wahrscheinlich wurde der Weg einfach aus Sicherheitsgründen gesperrt. Häufiger liegen grössere Steine mitten auf den Weg, an solchen Orten sollte man wohl nicht länger verweilen.

    Aussicht Richtung Interlaken

    Nach einem riesigen Steinbruch erreiche ich die Beatushöhlen. Noch in der Winterpause, aber unverkennbar ein sehr touristisches Angebot. Der Wanderweg zu den Höhlen ist sogar geteert. Bei der nächsten Sperre gebe ich auf und weiche an den Uferweg aus. Dieser verläuft bald durch ein Naturschutzgebiet, dass zahllose Spaziergänger anzieht und natürlich aussehende Ufer aufweist (mit allerlei Plastikabfällen).

    Nun bin ich am Seeende angekommen: Würde ich der Aare folgen, käme ich zuerst nach Interlaken und dann an den Brienzersee. Ich muss nun Autostrassen, Eisenbahnlinien und mehr über- und unterqueren. Dies ist nicht unbedingt die meistbegangene Strecke am Thunersee. Zu meiner Linken befindet sich eine riesige Felswand, immer wieder führt der Weg an Netzen gegen Steinschlag vorbei. Der Wanderweg nimmt sich den Raum zwischen Autobahn, Geleisen, See und Felsen. In der Schweiz gibt es diese Situation immer wieder. Mittlerweile hat heftiger Regen eingesetzt. Ich gönne mir dafür einen anständigen Aufstieg. Bei Leissingen hat man über den Spissibach eine Hängebrücke gespannt. Diese macht wenigstens Sinn und ist nicht wie andernorts zur reinen Attraktivitätsförderung der Region gebaut worden. Wollte man diese Brücke umgehen, so müsste man 300 Höhenmeter in Kauf nehmen – sowohl nach unten zum Seeufer hin oder nach oben. Natürlich schwankt die Brücke, aber es bereitet Spass, die Schwingungen während dem Gehen abzufedern. Allerdings wollen die Initianden noch weitere Brücken bauen, eine davon ist kostenpflichtig. Dadurch soll ein Panoramaweg rund um den Thunersee entstehen, ganz ohne schweisstreibende Auf- und Abstiege. 

    Mittlerweile bin ich im Schnee, dieser ist entweder gefroren oder sehr sulzig, die Wege sind sumpfig. Andere Wanderer werfen mir skeptische Blicke zu. Ein jüngeres Paar kämpft sich gemeinsam eine rutschige Treppe hinunter. Ich fühle mich dennoch sicher: Sollte ich zu rutschen beginnen, kämmen meine Mikrospikes zum Einsatz. Transa hat sie in diesem Winter ins Sortiment aufgenommen. Im Winter zuvor hatte ich mindestens zehnmal danach gefragt. Transa wird hoffentlich genug davon verkauft haben.

    Nach einer kurzen Passage an der Hauptstrasse entlang geschieht das Wunder: Direkt dem Ufer entlang ohne störende Strasse in der Nähe! Natürlich ist der Weg sehr touristisch, bei warmem Wetter stünde man hier sogar im Stau. Aber es regnet und nur hartgesottene sind unterwegs. Ein Jogger hat sich die Schuhe ausgezogen und watet in den See hinaus. Zwei Schwimmer in Neopren-Anzügen unterhalten sich im See. Es gibt sogar Wegweiser zu den nächsten Toiletten.

    In Spiez regnet es immer noch, wieder einmal eine stattliche Burg respektive heute ein Schloss. Die Stuckaturen an den Decken stammen aus dem 16. Jahrhundert. Das Schloss gehört seit 1922 einer Stiftung welche die gewaltigen Kosten der Renovation mithilfe von Lotterien gestemmt hatte.

    Kurz darauf bin ich im Kanderdelta, einem Vogelschutzgebiet von nationaler Bedeutung. Passend zur Landschaft sitzt ein grosser Vogel im Gras, der sich nicht stören lässt. Es muss sich um einen Raubvogel handeln, aber ich habe noch nie einen so grossen Vogel am Boden gesehen. Er trägt eine auffällige Feder an seinem Schwanz. Watson meldet am Abend die Sichtung eines Seeadlers in der Nähe von Aarau. Dies sei eine eigentliche ornithologische Sensation. Natürlich kann ich mich täuschen, aber der Vogel sieht dem von mir beobachteten tatsächlich sehr ähnlich. Dagegen spricht allerdings, dass ein Adler zu dieser Jahreszeit eher in den Norden unterwegs wäre. Bei Interlaken habe ich aber früher am Tag einen Adler gesehen. Wild liess sich heute weniger blicken, nur zwei an Menschen gewöhnte Rehe, die sich von mir nicht aus der Ruhe bringen liessen.

    Als ob sich der See für die weniger schönen Abschnitte seines Ufers entschuldigen möchte, sind die Parkanlagen vor Thun wirklich romantisch. Das Ufer des Sees sieht stellenweise natürlich aus, die Wellen sind kräftig. Die Sonne geht nun unter und für wenige Minuten werden die Berggipfel direkt angestrahlt. Sogar der Niesen verabschiedet sich in der Sonne.

    In den Bergen, beim Eiger, muss ein kräftiger Wind blasen, gewaltige Wolken ziehen vor der Eigernordwand vorbei. Nach ein paar hundert Metern durch ausgewasserte und teils riesigen Segelbote bin ich einem Wohnquartier, es sind bald Wahlen, überall stehen Wahlplakate. Ein modernes Haus, mit viel Glas, ist mit SP-Plakaten geschmückt. An dieser Wohnlage hätte ich eher FDP oder GLP erwartet. Bald stehe ich wieder vor dem Schloss Schadau. Dieses gehört der Stadt Thun und wird gerade saniert. Von dort aus ist es nur noch ein Katzensprung bis zum Bahnhof.

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